22. Dezember 2025
Link zur Meldung: https://www.dkgev.de/dkg/presse/details/krankenhaeuser-sind-in-der-silvesternacht-stark-belastet/
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) veröffentlicht seit mehreren Jahren jeweils im Dezember Pressemitteilungen mit sehr ähnlichem Tenor. Darin warnt sie vor einer angeblich „starken Belastung der Krankenhäuser“ durch „feuerwerksbedingte Verletzungen“ in der Silvesternacht. Nach Einschätzung des bvpk stehen jedoch die in der aktuellen Meldung präsentierte Datenbasis und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen nicht im Einklang.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft stützt ihre Aussagen auf die ICD-10-Diagnose W49.9 („Verletzungen durch unbelebte mechanische Kräfte, nicht näher bezeichnet“). Diese Diagnose ist umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Ursachen:
Eine weitgehende Gleichsetzung der Diagnose W49.9 mit „Verletzungen durch Feuerwerk“, wie sie im Tenor der Pressemitteilung nahegelegt wird, ist daher nicht zulässig. Dieser Auffassung ist auch die Bundesregierung, wie aus der Beantwortung einer Kleinen Anfrage im Bundestag im Dezember 2025 hervorgeht.
Entsprechend bilden die von der DKG verwendeten Zahlen – entgegen der Darstellung in der Pressemitteilung – keinen belastbaren „Trend zur Belastung der Krankenhäuser durch feuerwerksbedingte Verletzungen“ ab. Zwar weist die DKG formal darauf hin, dass Feuerwerk nur eine mögliche Ursache unter mehreren ist. Dieser einschränkende Hinweis geht jedoch in der Gesamtaussage der Meldung weitgehend unter.
Wie hoch der tatsächliche feuerwerksbedingte Anteil innerhalb der W49.9-Fälle ist, lässt sich auf Grundlage der verwendeten Daten nicht bestimmen. Gerade in der Silvesternacht dürften jedoch viele andere Ursachen, die dem Diagnoseschlüssel W49.9 zuzuordnen sind, eine erhebliche Rolle spielen. Dazu zählen insbesondere hoher Alkohol- und Rauschmittelkonsum sowie daraus resultierende motorische Einschränkungen, Unfälle und Konflikte. Vor diesem Hintergrund wirkt die ausschließliche Kontextualisierung der Diagnosezahlen mit Feuerwerk irreführend.
In der Pressemitteilung nennt die DKG folgende Zahlen:
In der Meldung werden die Aufnahmezahlen von 2025 mit denen von 2021 verglichen. Die deutlich niedrigeren Fallzahlen im Jahr 2021 werden dabei ausschließlich mit dem pandemiebedingten Verkaufsverbot von Silvesterfeuerwerk erklärt. Die damit nahegelegte Monokausalität zwischen Feuerwerksverbot und Rückgang der Fallzahlen wirkt irreführend.
Zum Jahreswechsel 2021 galt nicht nur ein Verkaufsverbot für Feuerwerk. Vielmehr führten weitreichende Kontakt- und Ansammlungsbeschränkungen zu einem insgesamt risikoärmeren Verhalten in der Bevölkerung: weniger Bewegung und Begegnung, weniger Verkehr, weniger Feiern und vermutlich auch weniger Alkoholkonsum. Wie aus den Notaufnahmen regelmäßig berichtet wird, sind diese in der Silvesternacht typischerweise nicht primär wegen Feuerwerksverletzungen stark ausgelastet, sondern wegen alkoholbedingter Verletzungen. Zu den Umständen zählen eingeschränkte Wahrnehmung, Reaktionsfähigkeit und Motorik, Unfälle sowie eskalierende Konflikte mit tätlichen Angriffen. Viele dieser Umstände führen zu Verletzungen, deren Ursachen dem ICD-Code W49.9 zugeordnet werden.
Ein postuliertes Zurückgehen der W49.9-Fälle ausschließlich mit dem Verkaufsverbot von Feuerwerk zu erklären wirkt insofern irreführend.
Der in der Pressemitteilung skizzierte Trend, die Belastung der Krankenhäuser sei während der Pandemie um zwei Drittel zurückgegangen, lässt sich zudem mit Blick auf die Gesamtheit der Notaufnahmevorstellungen in der Silvesternacht nicht bestätigen. Nach Ehrentreich et al. (2025) sank die relative Frequentierung der Notaufnahmen zu den Jahreswechseln während der Pandemie nur geringfügig (−1 % im Jahr 2020/21 und −4 % im Jahr 2021/22 im Vergleich zu 2019/20). Im ersten Jahreswechsel nach der Pandemie mit regulärem Feuerwerksverkauf war sie sogar weiter rückläufig (−7 %).
Auffällig ist außerdem, dass auch in der aktuellen Meldung erneut ein Vergleich mit dem Jahr 2021 vorgenommen wird, während das Jahr 2022 unerwähnt bleibt. Andere Studien zeigen, dass das Aufkommen an W49.9-Diagnosen in diesem Jahr trotz weiterhin geltenden Feuerwerksverbots wieder zugenommen hatte. Diese Zahlen würden der von der DKG suggerierten Entlastungswirkung von Feuerwerksverboten widersprechen. Möglicherweise erklärt dies, weshalb sie in der Pressemitteilung nicht thematisiert werden.
Aus den von der DKG genannten Zahlen ergibt sich:
Grundsätzlich hängen Fallaufkommen stark von äußeren Umständen und dem Verhalten der Bevölkerung ab, etwa von Mobilität, Begegnungsintensität, Verkehrsaufkommen und Alkoholkonsum. Silvester und Neujahr wären daher eher mit Samstagen oder Sonntagen vergleichbar als mit durchschnittlichen Wochentagen.
Das Gegenüberstellen eines durchschnittlichen Tagesaufkommens (25,8 Fälle) mit dem Fallaufkommen an Silvester oder Neujahr ohne Adjustierung nach Wochentag, Feiertag oder Mobilitätsniveau ist methodisch inadäquat und wirkt irreführend. Wissenschaftliche Studien mit robuster Methodik vergleichen daher das Fallaufkommen an Silvester und Neujahr mit dem an Wochenendtagen. Ein Beispiel hierfür ist die multizentrische, peer-reviewte Studie von Ehrentreich et al. (2025).
In der PDF-Version der Pressemitteilung gibt die DKG an, Krankenhausträger mit insgesamt rund 1.874 Krankenhäusern zu vertreten. Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung existieren bundesweit 1.875 Krankenhäuser. In der Meldung finden sich keine Hinweise darauf, dass sich die am 1. Januar 2025 festgestellten 100 W49.9-Fälle nur auf einen Teil dieser Krankenhäuser beziehen würden. Auf entsprechende Nachfragen des bvpk machte die DKG keine weiteren Angaben.
Es ist daher davon auszugehen, dass sich die genannten absoluten Fallzahlen auf alle 1.874 Krankenhäuser beziehen. Bei 100 Fällen ergibt sich rechnerisch ein Durchschnitt von etwa 0,05 stationären W49.9-Fällen pro Krankenhaus. Das würde bedeuten, dass in rund 19 von 20 Krankenhäusern in der Silvesternacht kein einziger stationärer W49.9-Fall auftritt. Zwar ist die Verteilung der Fälle nicht gleichmäßig, dennoch verdeutlicht diese Rechnung die Größenordnung.
Der Anteil der W49.9-Verletzungen, die tatsächlich feuerwerksbedingt sind, dürfte nochmals deutlich geringer sein. Seriöse Schätzungen hierzu existieren nicht, und auch die DKG macht hierzu keine Angaben. Verschiedene Studien, darunter Ehrentreich et al. (2025), legen nahe, dass der Anteil sehr gering ist. Selbst unter der unrealistischen Annahme, dass 50 % aller W49.9-Fälle feuerwerksbedingt wären, ergäben sich lediglich 0,026 stationäre Feuerwerksverletzungen pro Krankenhaus. Das entspräche einem stationär aufgenommenen feuerwerksbedingten Fall in nur etwa drei von 100 Krankenhäusern.
In der Pressemitteilung fehlen Angaben zur Gesamtzahl aller stationären Aufnahmen oder Notaufnahmefälle in der Silvesternacht. Ohne diese Bezugsgröße lässt sich der Anteil der Diagnose W49.9 an der Gesamtbelastung der Krankenhäuser nicht einordnen. Aussagen über eine „starke Belastung“ bleiben damit quantitativ unbelegt.
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